Direkt zum Inhalt
  • Also available in:

Die Covid-19-Pandemie hat der Sozialfürsorge in den Kommunen in ganz Europa einen hohen Preis abverlangt. Unzureichende Investitionen in der Vergangenheit hatten bereits zuvor dazu geführt, dass der Bereich der Sozialfürsorge nicht über die notwendigen Mittel verfügte, um die Krise zu bewältigen. Daher stellen sich Fragen zur zukünftigen Finanzierung.

In den Medien wurde über eine nicht hinnehmbare Zahl von zusätzlichen Todesfällen in Pflegeheimen und beim Pflegepersonal berichtet, was gravierende ethische Bedenken aufwarf. Tatsächlich bestand eine der größten Herausforderungen darin, die Sicherheit und die Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter innerhalb des Versorgungssystems zu gewährleisten. Der Zugriff auf Echtzeitdaten über das Geschehen in den gemeindenahen Diensten mithilfe digitaler Technologien ist daher von entscheidender Bedeutung für die künftige Krisenvorsorge.

An der 28. Europäischen Konferenz des Sozialwesens vom 30. Juni bis 1. Juli nahmen mehr als 250 leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sozialer Dienste aus 32 Ländern teil, um gemeinsam darüber zu diskutieren, wie die gemeindenahe Pflege überdacht werden muss. Es ging darum, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser unterstützt werden können, wie eine effektive Ausstattung mit Ressourcen erreicht werden kann, welche ethischen Prinzipien unsere Arbeit anleiten sollten und wie Technologien genutzt werden können, um Menschen, die Pflegeangebote nutzen, und Pflegekräfte vor Ort besser zu unterstützen.

In der Community Care hat sich in den vergangenen Jahren ein Wandel hin zu einer stärker individualisierten Pflege vollzogen, während die öffentliche Hand die Pflege zunehmend an nicht-öffentliche Träger auslagert, was eine Beaufsichtigung und Regulierung des Pflegesektors schwieriger macht. Diese Probleme verschärften sich im Laufe der Covid-19-Pandemie noch, als die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich einem Mangel an Schutzausrüstung gegenüber sahen, während sie ihre Arbeit erledigten. In den Redebeiträgen wurde betont, dass sich die Beschäftigten hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen nicht sicher fühlten, was sich wiederum auf die Attraktivität eines Sektors auswirkt, der bereits mit einer erheblichen Beschäftigungslücke zu kämpfen hat. Covid-19 hat den Pflege- und Sozialbereich wie auch die Pflegekräfte und Sozialarbeiter wieder auf die politische Agenda gehoben. Aber es gibt einen Unterschied zwischen dem Bewusstsein und dem tatsächlichen Ergreifen von Maßnahmen, um die  Umstände etwas abzumildern, wofür grundlegende Veränderungen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und der Finanzierung erforderlich sind.

Zwar gibt es Bedarf an zusätzlichen finanziellen Mitteln für die gemeindenahe Pflege, aber es besteht zugleich die Gefahr, dass diese Mittel genutzt werden, um die Einrichtungen zu reformieren und Menschen, die soziale Dienstleistungen nutzen, wieder in stationären Einrichtungen aufzunehmen. Die Kosten für die Community Care sind hoch und sie bleiben oft im Verborgenen, weil die Entwicklung einer gemeindenahen Pflege Ressourcen aus unterschiedlichen Budgets erfordert, nicht nur aus denen für die sozialen Dienste. Eine sinnvolle Reform erfordert daher politisches Engagement, die Umschichtung von Ressourcen aus der institutionellen zur gemeindenahen Pflege sowie Anreize für die Community Care. Um Anreize zu schaffen, ist es notwendig, auch ein Narrativ zu entwickeln, das aufzeigt, wie sich Investitionen in die Community Care auf andere auswirken können, z. B. auf die Beschäftigungsfähigkeit von Menschen in Hilfsdiensten. Außerdem müssen neue Wege der Auftragsvergabe an Anbieter unterstützt werden, die sich nicht an der Anzahl der Betten oder belegten Plätze orientieren, sondern auf Ergebnissen basieren, wie z. B. der Verzögerung einer Aufnahme in die stationäre Pflege durch gemeindenahe Dienstleistungen.

Die Begründung für die gemeindenahe Pflege sollte sich aber nicht nur auf das Kostenargument stützen. Auch der Nutzen muss betrachtet werden. In dieser Debatte ist eine Bezugnahme auf Grundrechte von zentraler Bedeutung, insbesondere jetzt nach der Covid-19-Pandemie. Im Durchschnitt machte in vielen EU-Ländern die Zahl der zusätzlichen Todesfälle in Pflegeeinrichtungen fast 50 Prozent aller Covid-19-Toten aus. Besuchsverbote und die Einschränkungen der Freiheit von Menschen, die in diesen Betreuungseinrichtungen leben, ohne jeglichen Kontakt zu ihrer näheren Umgebung oder fehlende Kontrollen bedeuteten, dass sich der Pflegesektor mit gravierenden moralischen Dilemmas konfrontiert sah. Daher wurden der Schutz von Grundrechten, notwendige Gesetzesänderungen und Transparenz in der Regulierung sowie die Förderung von Autonomie noch breiter als Grundlage für zukünftige Reformen anerkannt.

Abgesehen davon hat die Pandemie dazu beigetragen, dass innerhalb weniger Wochen technologische Veränderungen stattfanden, die sonst wahrscheinlich Jahre gedauert hätten. In ihren Redebeiträgen verwiesen einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz auf die Anpassung von Telecare-Angeboten, Online-Zugänge zu sozialen Leistungen, elektronische Gutscheine, die Ausweitung von Mietzuschüssen dank Cloud-fähiger Plattformen zur Verhinderung von Zwangsräumungen, Fernüberwachung oder die Datennutzung für Prognosen. Diese neuen Angebote sollten nicht nur tragfähig sein, sondern auch verfügbar. Besonders wichtig ist, dass die Öffentlichkeit sich darauf verlassen kann, dass diese sich in die richtige Richtung entwickeln. Beispielsweise sollten die Technologien und die Art der Datenerhebung kritisch hinterfragt und sichergestellt werden, dass Fachkräfte aus den sozialen Diensten in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Ein weiteres Thema ist, wie sichergestellt werden kann, dass ‚kontaktlos‘ nicht das Vermeiden menschlicher Interaktion bedeutet. Auch wenn Unterstützung virtuell erfolgen mag, muss es immer noch eine menschliche Atmosphäre geben.

Der Einsatz von Technologie in der Community Care mag sich in den vergangenen Monaten beschleunigt haben, aber ihr Einsatz muss verstetigt werden, um den Pflegebereich besser vorbereitet aufzustellen, insbesondere wenn es um den präventiven Einsatz digitaler Instrumente geht.