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ESN-Mitglieder auf dem Europäischen Forum für die Rechte des Kindes


Am 17. und 18. Dezember nahmen in Brüssel mehr als 250 Interessensvertreter, darunter zwölf Mitglieder des Europäischen Sozialen Netzwerks (ESN), am 8. Europäischen Forum für die Rechte des Kindes teil. Marie-Paule Martin Blachais vom Nationalen Beobachtungszentrum für gefährdete Kinder (ONED) in Frankreich und Alexis Jay, ehemalige leitende Beraterin für Sozialarbeit der schottischen Regierung, vertraten das ESN auf der zweiten Sitzung. Ziel des Forums war eine Erörterung der Notwendigkeit von integrierten Kinderschutzsystemen durch Beiträge zur Arbeit an EU-Richtlinien für Kinderschutz und durch die Entwicklung eines Kontextes zur Debatte und zum Austausch guter Praktiken.


Schritte zu EU-Richtlinien für Kinderschutzsysteme


Die Europäische Kommission verabschiedete 2011 „Eine EU-Agenda für die Rechte des Kindes“, um die Bemühungen zum Schutz der Rechte von Kindern zu verstärken; ESN leistete in der Konsultationsphase Beiträge zu diesem Dokument. Während der Umsetzung der Agenda traten außerdem neue Richtlinien in Kraft: die EU-Richtlinie gegen Menschenhandel, die EU-Richtlinie für die Rechte von Opfern und die Verordnung für eheliche und elterliche Verantwortung. 2013 wurde mit der Empfehlung der Europäischen Kommission für Investitionen in Kinder ein umfassender Ansatz für Investitionen in Kinder verabschiedet, der die Aspekte Ressourcen, Dienstleistungen und Einbeziehung umfasst; allerdings fehlt ein klarer und konkreter Bezug zur Notwendigkeit eines soliden Systems zur Warnung, Überweisung und Bewertung von Kindern mit dem Risiko von Missbrauch und Vernachlässigung. Das Thema des Forums kommt daher zum richtigen Zeitpunkt; seine Relevanz zeigt sich auch am Mandat der EU-Strategie für 2012-2016 zur Beseitigung des Menschenhandels, die alle Mitgliedstaaten dazu aufruft, Informationen für künftige EU-Richtlinien für Kinderschutzsysteme zu sammeln.


Zur Eröffnung des Forums bekräftigten die Referenten erneut ihr Engagement für eine Fortsetzung dieser Arbeit auf EU-Ebene. Viviane Reding, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und verantwortlich für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft, betonte die Bedeutung einer Zusammenarbeit, „denn der Kinderschutz ist nicht nur die Angelegenheit einer Abteilung, sondern ein horizontales, sektorenübergreifendes Anliegen“. Sie verwies auf die Rolle der Kommunal- und Regionalregierungen beim Prozess der Implementierung der EU-Agenda für die Rechte des Kindes, der sich „in unseren Regionen und mit unseren Fachkräften vollzieht“. Als Referentin im Namen von Frau Roberta Angelilli, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und momentane Leiterin der Arbeiten am Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie gegen Missbrauch und Kinderpornografie, bezeichnete die Europaabgeordnete Soledad Becerril den Kinderschutz als Thema von wachsendem Interesse im Parlament aufgrund der zahlreichen Opfer von Kindesentführung, Menschenhandel und Mobbing. Marie-Pierre Poirier von UNICEF erklärte zustimmend: „Die künftigen europäischen Kinderschutzrichtlinien müssen neue Formen der Gewalt berücksichtigen und einen ganzheitlichen Ansatz verwirklichen, um die gefährdetsten Kinder davor zu bewahren, zwischen den verschiedenen Verwaltungs- bzw. Verantwortungsbereichen verlorenzugehen.“


Die Funktionsweise von Kinderschutzsystemen


In der zweiten Sitzung des Forums stellten zwei ESN-Mitglieder ihre Perspektiven von Kinderschutzsystemen vor. Marie-Paule Martin Blachais vom Nationalen Beobachtungszentrum für gefährdete Kinder (ONED) in Frankreich argumentierte, dass die derzeitigen Kinderschutzsysteme vor allem mit drei Problemen zu kämpfen haben:


  • einem multidisziplinären, mehrere Akteure umfassenden Top-Down-Ansatz von der nationalen zur kommunalen Regierung

  • dem Mangel eines ganzheitlichen Verwaltungsansatzes, der gewährleisten würde, dass sich sämtliche Politikbereiche für den Kinderschutz verantwortlich fühlen

  • dem Mangel von evidenzbasierten Grundsätzen für den Kinderschutz

Alexis Jay, ehemalige leitende Beraterin für Sozialarbeit der schottischen Regierung, erörterte die unverzichtbare Rolle der Sozialarbeit für den Kinderschutz und betonte, dass Sozialarbeiter dafür verantwortlich sind, Bewertungen durchzuführen, Maßnahmen zum Schutz der Kinder einzuleiten und Kinderschutzpläne zu koordinieren. Ebenso warf sie einen Blick auf gesamteuropäische Aspekte des Kinderschutzes und erklärte: „Im Bereich der arbeitsrechtlichen Regelungen für Sozialarbeiter und die Mitarbeiter von sozialen Trägern gibt es auf europäischer Ebene Schwankungen, zum Beispiel hinsichtlich der Berichterstattung und des Umgangs mit Fehlverhalten, der Schwierigkeiten bei der Überprüfung von Vorstrafen und der Übertragbarkeit von Qualifikationen“.


Austausch von guten Praktiken


In vier parallelen Sitzungen wurde die Rolle von Kinderschutzsystemen in bestimmten Bereichen erörtert: bei der Wahrung der Interessen des Kindes in Fällen einer elterlichen Kindesentführung, bei der Berücksichtigung der Bedürfnisse von Kindern, die von Migration betroffen sind, beim Schutz von Kindern vor Gewalt im Zusammenhang mit Mobbing und Cyber-Mobbing und bei der Genitalverstümmelung von Frauen.


  1. Elterliche Kindesentführung  
    Nach Angaben des Europäischen Parlaments werden 25 % der Kindesentführungen durch ein Familienmitglied begangen; angesichts der schätzungsweise 310 000 Ehepaare und 137 000 Scheidungen in Europa herrscht hinsichtlich der Verantwortung der nationalen Rechtsprechung große Ungewissheit. In diesem Workshop wurden nicht-justizielle Mechanismen zur Förderung der Interessen des Kindes, Schlichtungsverfahren, Informationsprogramme für Eltern, Prävention und Maßnahmen bei einer elterlichen Kindesentführung untersucht.

  2. Von Migration betroffene Kinder  
    Während einer unbegleiteten Migration sind Kinder besonders gefährdet. Im Bericht des Europäischen Parlaments von 2012 über Kinderhandel wurde die Zahl der unbegleiteten Asylsuchenden innerhalb der europäischen Grenzen auf 12 000 beziffert. Auf dem Workshop wurden die wichtigsten Schritte erörtert, um einen integrierten Ansatz zum Schutz und zur Integration dieser Kinder sicherzustellen und um Probleme im Zusammenhang mit den fehlenden Daten in diesem Bereich zu lösen.

  3. Schutz von Kindern vor Gewalt – Mobbing und Cyber-Mobbing  
    Das Europäische Parlament arbeitet momentan am Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie gegen Missbrauch und Kinderpornografie. Da Mobbing und Cyber-Mobbing als wichtige Formen der Gewalt erkannt wurden, erörterten die Teilnehmer dieses Workshops die tieferen Ursachen, beteiligten Akteure, Präventivmaßnahmen und politischen Antworten auf dieses Problem.

  4. Schutz von Kindern vor Gewalt – Genitalverstümmelung von Frauen  
    Die Genitalverstümmelung von Frauen stellt in mindestens 13 europäischen Ländern ein Problem dar, von dem schätzungsweise 500 000 Frauen und Mädchen bedroht sind. Auf europäischer Ebene wurde ein Maßnahmenplan entworfen; die Workshop-Teilnehmer erörterten, wie sich gefährdete Mädchen angesichts der mangelnden Daten in diesem Bereich am besten schützen lassen.

Schlussfolgerungen und künftige Maßnahmen


Zu den Schlussfolgerungen des Forums gehörte die Notwendigkeit von:


  • einem multidisziplinären Bewertungstool für den Kinderschutz

  • einer Verstärkung der Arbeitskräfte im Bereich des Kinderschutzes

  • einem Aufbau von nationaler Kapazität zur Kontrolle der Wirkung von Kinderschutzmaßnahmen

  • der Entwicklung kontinuierlicher Dienstleistungen

  • einer Entwicklung und Erfassung von Daten, die zur Quantifizierung unverzichtbar sind

  • einer Intensivierung der evidenzbasierten Praktiken

Die Vorschläge und Beiträge des Forums helfen bei der Ausarbeitung der künftigen EU-Richtlinien für Kinderschutzsysteme. Das Europäische Soziale Netzwerk (ESN) wird diese Arbeit fortsetzen und in den kommenden Monaten Beiträge zur Konsultation der Europäischen Kommission leisten.


Ressourcen:


Weitere Informationen über die Arbeit von ESN für Kinder und Familien
Webcast vom ersten Tag des Forums
Hintergrundpapiere für das Forum